Außenaufnahme: Gebäude mit der Aufschrift „Rathaus“.

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Kommunale Netzwerke

In der Prävention spielt die Arbeit auf kommunaler Ebene eine besondere Rolle. In den Kommunen kann man viele wichtige Akteurinnen und Akteure erreichen, gewinnen und sensibilisieren – z. B. Schulen, Sozial- und Jugendarbeit, Polizei, Politik und alle, die Bezug zum Thema haben. Damit Maßnahmen in Kommunen möglichst stark wirken, sollten sie im Rahmen einer Gesamtstrategie mit Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene verzahnt werden. Das Bayerische Sozialministerium fördert deswegen den Aufbau kommunaler Präventionsnetzwerke.

Ziel des „Bayerischen Netzwerks für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus“ ist es, möglichst flächendeckend Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung anzubieten und die verschiedenen Akteurinnen und Akteure vor Ort miteinander zu vernetzen. Die kommunale Ebene ist dabei von großer Bedeutung, weil hier eine Vielzahl an Akteurinnen und Akteuren erreicht, sensibilisiert und vernetzt werden kann. Dadurch wird gewährleistet, dass die landesweiten Beratungsangebote vor Ort bekannt gemacht und gezielt in der Arbeit vor Ort genutzt werden können.

Radikale Einstellungen fallen selten erst durch gewalttätiges Verhalten auf, sondern sind oft sehr früh im Alltagsverhalten erkennbar. Lokale Netzwerke mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort müssen daher in die Lage versetzt werden, „Symptome“ von Radikalisierung frühzeitig zu erkennen und Jugendliche gemeinsam vor einer möglichen Radikalisierung zu schützen.

Soweit möglich sollte dabei auf bereits bestehende Strukturen zurückgegriffen werden. Die Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München koordiniert z. B. die Aktivitäten eines Netzwerks gegen Rechtsextremismus, Rassismus, religiöse Radikalisierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Das Netzwerk arbeitet unter anderem mit ufuq.de Bayern zusammen, der Fachstelle zur Prävention von religiös begründeter Radikalisierung in Bayern.

Wo noch keine Strukturen bestehen, hilft das Bayerische Sozialministerium beim Aufbau kommunaler Netzwerke. Derzeit bestehen drei Modellprojekte in Augsburg, Nürnberg und Würzburg. Ein weiterer Ausbau der kommunalen Vernetzung ist geplant.


Augsburg: kleinräumige Netzwerke aufbauen

Im Jahr 2007 wurde in Augsburg ein Kommunaler Präventionsrat (KPR) installiert, ein Gremium, das sich stadtweit und ressortübergreifend für Kriminalprävention in Augsburg einsetzt. Das übergeordnete Ziel des KPR ist es, Kriminalität vorzubeugen und das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Hierzu vernetzt der KPR auf städtischer Ebene Präventionspraktikerinnen und Präventionspraktiker und erarbeitet gemeinsam mit ihnen Maßnahmen und Projekte zur Verbesserung der urbanen Sicherheit und für eine lebenswerte und friedliche Stadt. Seit Februar 2016 beschäftigt sich auch ein Arbeitskreis des KPR mit der Prävention von Radikalisierung.

Doch um alle relevanten Akteurinnen und Akteure, wie beispielsweise Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Jugendsozialarbeiterinnen und Jugendsozialarbeiter an Schulen, religiöse und nichtreligiöse Communities in die Präventionsarbeit miteinzubeziehen, ist der Aufbau von Netzwerken auf Stadtteilebene erforderlich. Das Projekt „Aufbau von kleinräumigen Netzwerken in Augsburg zur Prävention von Radikalisierung“ startete am 1. September 2016. Sein vorrangiges Ziel ist die Vernetzung auf kleinräumiger Ebene. Denn in kleinen Einheiten ist es einfacher, eine vertrauensvolle Verständigung und Zusammenarbeit aufzubauen. Direkt in ihrem Lebens- bzw. Handlungsumfeld können sich die beteiligten Akteurinnen und Akteure besser mit dem Netzwerk identifizieren.

Informations- und Fortbildungsmaßnahmen klären über Radikalisierung auf, und bei regelmäßigen Treffen werden gegenseitige Vorurteile abgebaut. Durch eine aktive Öffentlichkeits- und Medienarbeit werden gesellschaftliche Diskurse in diesem sehr emotionalen Themenfeld versachlicht.

Projektträger ist die Stadt Augsburg, Büro für Kommunale Prävention, Geschäftsstelle des Kommunalen Präventionsrats Augsburg.

Logo: „Kriminalpräventiver Rat Augsburg“.

Das Erscheinungsbild von religiös begründetem Extremismus in der Öffentlichkeit ist in erster Linie martialisch, brutal und vor allem männlich. Es gibt aber auch eine weibliche Komponente: Frauen, die z. B. ihren Männern den Rücken freihalten und die Kinder fundamentalistisch erziehen. Um wirksame Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, ist es daher wichtig, die Bedeutung von Frauen innerhalb des religiös begründeten Extremismus zu definieren, denn auch Rekrutierungsstrategien sind genderspezifisch ausgerichtet. Ebenso sind die spezifischen Perspektiven von Frauen und Mädchen auf Radikalisierungsmotive zu beleuchten. Beispielhaft zu nennen wären hier

  • Orientierungs- und Zugehörigkeitserfahrungen
  • Kompensation von Erlebnissen der Erniedrigung und Diskriminierung
  • Bewältigung von Lebenskrisen
  • Bedürfnis nach sozialer und gesellschaftlicher Selbstwirksamkeit und/oder
  • Loslösung aus willkürlich-patriarchalen Traditionen der Herkunftsfamilie (vermeintliche Gleichberechtigung).

Nachdem in Augsburg eine islamistische Frauengruppe bestand und es auch zu einigen wenigen Ausreisen von Frauen kam, hat das Augsburger Netzwerk zur Prävention von Radikalisierung im Jahr 2017 beschlossen, einen Fokus auf genderspezifische Präventionsprojekte zu legen. In insgesamt drei Projekten und zwei Fachtagungen lag der Blick speziell auf Frauen und Mädchen. Beispielhaft sind drei Maßnahmen beschrieben:

Im Februar 2017 fand eine Fachtagung mit über 40 Augsburger Fachkräften statt. Neben dem Input von Dr. Götz Nordbruch von ufuq.de Berlin zur Radikalisierung von Mädchen und den zu berücksichtigenden genderspezifischen Aspekten gab es auch einen Input von Charlotte Mumford vom Institute for Strategic Dialogue aus London zum Thema Gegenrede-Kampagnen/alternative Erzählungen auf lokaler Ebene als Mittel der (Salafismus-)Prävention.

Basierend auf den Erkenntnissen aus diesem Fachtag wurde das Projekt „Aufdrehen – ein Filmprojekt für Mädchen“ entwickelt: Zehn Mädchen der Agnes-Bernauer-Realschule in Augsburg nahmen an diesem Projekt unter Begleitung einer Mediendesignerin und der Medienpädagogin der Stadt Augsburg teil. Entstanden ist ein ca. fünfminütiger Film, der das Leben in Augsburg mit dem Leben einer Frau in Syrien vergleicht. Der Film ist authentisch und spiegelt die Lebenswelten der Mädchen wider. Die Mädchen zeigen aus ihrer Sicht, welche Vorzüge das Leben in Augsburg bietet. Bei diesem Projekt stand das Empowerment der Mädchen im Vordergrund, verbunden mit dem Ziel, dass die Mädchen Selbstwirksamkeit erfahren.

Augsburg ist eine vielkulturelle Stadt, vier von zehn Augsburgerinnen und Augsburgern haben einen Migrationshintergrund. Dies bildet sich auch in den Kitas, Schulen, Jugendzentren und Familienstützpunkten ab. Entsprechend bunt und verschieden sind die Lebensentwürfe, Persönlichkeiten und Lebensumstände von Mädchen in der Stadt.

Einige Entwicklungen, wie digitale Gewalt gegen und von Mädchen, Sexualisierung, Schönheitswahn, verfestigte Rollenklischees und der Rückzug ins Private, geben Anlass zur Sorge. Denn sie sind alle auch Umstände, die Radikalisierungsprozesse begünstigen. Untersuchungen zeigen, dass Mädchen insbesondere in der Pubertät oft einen Einbruch an Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit erleben. Bei Mädchen aus eher konservativ geprägten Migrantenfamilien kommt noch hinzu, dass sie sich ab der Pubertät weniger im öffentlichen Raum bewegen. Sie werden stärker in den Familien eingebunden und haben weniger Zugang und Austausch unter Gleichaltrigen. In Jugendzentren sind diese Mädchen selten zu finden, weil diese nach Ansicht der Eltern keine „richtigen“ Orte für sie sind oder, weil sie sich dort einfach nicht wohl fühlen. Oftmals bleiben sie mit ihren Fragen nach eigener Identität in dem Spannungsfeld von Herkunftskultur und hiesiger Kultur allein.

Die Schule und zum Teil auch Mehrgenerationenhäuser oder Familienstützpunkte sind dagegen Orte, an denen sie selbstverständlich zu finden sind. Daraus entstand die Idee, interkulturelle Mädchengruppen an Schulen und in Stadtteilen aufzubauen. Ziel ist es, Mädchen zu stärken und Partizipationsprozesse anzustoßen und einzuüben: „Mädchen mischen mit“ ist somit nicht nur Motto, sondern zentrales Ziel und Inhalt des Projekts. Denn starke – also selbstbewusste und aktive – Mädchen sind nicht anfällig für die Rekrutierungsversuche von radikalen Gruppierungen.


Nürnberg: vernetzen und entwickeln

Das Nürnberger „Präventionsnetzwerk gegen gewaltbereiten Salafismus“ startete am 1. Juni 2016. Seither hat sich in Nürnberg eine gut vernetzte und professionell arbeitende Infrastruktur entwickelt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Demokratiefähigkeit bei jungen Menschen zu entwickeln und dem Erstarken einer gewaltbereiten salafistischen Szene und Jugendkultur entgegenzuwirken. Das Netzwerk bündelt die bestehenden Beratungs- und Präventionsangebote im Bereich der religiös begründeten Radikalisierung in Nürnberg.

Die Gesamtkoordination erfolgt in der Stabsstelle Menschenrechtsbüro & Frauenbeauftragte, die beim Bürgermeisteramt der Stadt Nürnberg angesiedelt ist. Dies gewährleistet einen breiten Zugang zu den bedeutendsten Akteurinnen und Akteuren in diesem Themenfeld. Zu den Hauptaufgaben der Projektstelle gehört es, Ressourcen und Defizite zu identifizieren, möglichst viele Akteurinnen und Akteure aus dem Bereich der allgemeinen und spezifischen  Prävention zu gewinnen und zu vernetzen sowie konkrete Projekte zur Sensibilisierung und Prävention zu entwickeln. Zunehmend wird die Projektstelle auch mit Einzelanfragen adressiert.

Aktuelle Informationen erhalten Sie auf der Website des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg.

Logo „Nürnberg hält zusammen“.

Zur Zielgruppe zählen junge Menschen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und wichtige Bezugspersonen. Zwischenzeitlich gehören dem Netzwerk mehr als fünfzig Partnerorganisationen an – von Moscheegemeinden und Zuwanderervereinen, Schulen und Trägern der Jugendarbeit, Vertreterinnen und Vertretern von Sicherheitsbehörden und Stadtverwaltung bis hin zu vielen anderen Gruppen, die das Interesse an der Verteidigung einer offenen Gesellschaft verbindet. Von Beginn an waren islamische Vereine und Moscheegemeinden und deren Ansätze, z.B. Muslimische Seelsorge mit präventivem Charakter in der JVA, in das Netzwerk einbezogen.

Drei- bis viermal im Jahr lädt die Projektstelle zu Arbeitstreffen des Netzwerks ein, mit dem Ziel des Wissensaufbaus zu einzelnen Schwerpunktthemen und der Entwicklung gemeinsamer Formate der Präventionsarbeit. Bisher gab es Netzwerktreffen zu folgenden Themen: Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen, gendersensible Präventionsarbeit, Frauen- und Mütterarbeit, multireligiöses Zusammenleben und interreligiöser Dialog, Extremismus und soziale Medien sowie selbstorganisierte muslimische Jugendarbeit und interkulturelle Öffnung der Jugendarbeit.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Konzeption und Durchführung von Fortbildungen und Sensibilisierungstrainings rund um das Thema religiös begründete Radikalisierung mit unterschiedlichen Partnerinnen und Partnern.

Daneben ist die Projektstelle auch Anlaufstelle für Einzelanfragen besorgter Angehöriger, Lehrkräfte etc. geworden. Nach einem Clearing wird  in der Regel an passende Partnerorganisationen (z. B. Violence Prevention Network) vermittelt, welche die Hilfesuchenden weiter unterstützen. Gegebenenfalls erfolgt die Einschaltung des Landesamts für Verfassungsschutz. Insbesondere im Bereich der Einzelfallberatung wurde die Zusammenarbeit mit dem Nürnberger Bedrohungsmanagement vertieft. Aus dieser Kooperation heraus entstand die Initiative zum Aufbau einer Clearingstelle Radikalisierung als Teil des Nürnberger Bedrohungsmanagements, die im Laufe des Jahres 2019 etabliert werden soll.

Auch das Workshop-Angebot „Wie wollen wir leben?“ von ufuq.de Bayern wird von der Projektstelle beworben und koordiniert. Die von speziell ausgebildeten Teamenden in einem Peer-to-Peer-Ansatz durchgeführten Workshops können von Schulen und Jugendeinrichtungen kostenfrei gebucht werden.


Würzburg: interkommunale Vernetzung

Seit Herbst 2017 vernetzt und koordiniert das Interkommunale Präventionsnetzwerk Würzburg die Akteurinnen und Akteure sowie Maßnahmen der Stadt und des Landkreises Würzburg. Die Koordination gewährleisten das Sozialreferat der Stadt Würzburg sowie das Landratsamt Würzburg.

Die Präventionsarbeit im Netzwerk wird auf drei Ebenen umgesetzt:

  1. Netzwerk

Seit der Implementierung des interkommunalen Präventionsnetzwerks wurden bereits über 160 Netzwerkpartnerinnen und Netzwerkpartner aus vielfältigen, interdisziplinären Arbeitsbereichen gewonnen und dauerhaft eingebunden. Insbesondere besteht eine enge Zusammenarbeit mit den Würzburger Moscheegemeinden sowie Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen. Auf regelmäßig stattfindenden Netzwerktreffen kommen alle Akteurinnen und Akteure von Stadt und Landkreis zusammen und ermitteln gemeinsam die lokalen und aktuellen Notwendigkeiten und Bedarfe im Themenkomplex Radikalisierungsprävention als Grundlage der Netzwerkarbeit.

  1. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

Zu den Zielen und Aufgaben des Präventionsnetzwerks zählt die Organisation von Sensibilisierungsveranstaltungen für Fachkräfte im Themenkomplex Radikalisierung und Radikalisierungsprävention. Auch die Sensibilisierung von ehrenamtlichen Jugendleiterinnen und Jugendleitern in enger Zusammenarbeit mit dem Stadt- bzw. Kreisjugendring sowie von Vorständen und Übungsleiterinnen und Übungsleitern der Sportvereine findet in diesem Rahmen statt.

  1. Jugendliche

Die dritte Ebene bildet die Präventions- und Sensibilisierungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit und ohne Migrationshintergrund, aller Glaubensrichtungen und aus allen sozialen Herkunftsfamilien.

Nähere Informationen zum Leitbild des Würzburger Präventionsnetzwerks Radikalisierung sowie zu aktuellen Veranstaltungen und Präventionsprojekten finden Sie auf der Homepage des Würzburger Präventionsnetzwerks.

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TIPP: Sozialministerium fördert Aufbau kommunaler Netzwerke

Das Bayerische Sozialministerium fördert den Aufbau kommunaler Präventionsnetzwerke.
Sie haben Fragen? Wir beraten Sie gerne. Schreiben Sie an:

Bayerisches Staatsministerium für
Familie, Arbeit und Soziales
Referat VI 2 – Prävention

Winzererstraße 9
80797 München

E-Mail schreiben ans Bayerische Sozialministerium

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